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Marseille (2004)


MARSEILLE
Regisseurin: Angela Schanelec
Deutschland/Frankreich 2004

Ein Film aus Bruchstellen

Sophie hat ein paar Tage freibekommen und verbringt diese Zeit in Marseille, damit sie dort Fotos schießen kann. Um nicht unnötig viel Geld für ein Hotel auszugeben, nimmt sie die Wohnung einer Studentin, welche im Gegenzug ihre vier Wände in Berlin bekommt. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin wird sie mit den Beziehungssorgen ihrer Freundin Hanna konfrontiert, die sich von ihrem Mann Ivan nicht geliebt fühlt und dabei sogar Sophie vorwirft, sich in ihn verguckt zu haben. Schanelecs Drama weist, wie aus dem Lehrbuch, alle Tugenden auf, die man mit dem Begriff Berliner Schule assoziiert. So ist MARSEILLE unheimlich spröde, in jedem Winkel unspektakulär, gemein langsam und natürlich ausgestattet mit einem Ende, welches offener gar nicht sein könnte. Beeindruckend sorgfältig inszeniert und dann doch wieder den Zuschauer um den Verstand bringend. Schauplätze kommen ohne Einladung und gehen wieder, ohne sich zu verabschieden. Um Marseille gegen Berlin auszutauschen, macht die Regisseurin nichts weiter als einen Schnitt. In einem Moment denken wir, dass sich Protagonistin Sophie noch in Frankreich befindet, doch im nächsten Augenblick wird sie an einer Ampel von einer Verkäuferin in klarstem Deutsch angesprochen, die Sophie ihre Mütze zurückgibt, welche sie offensichtlich in einem Laden vergessen hat. Solche Ellipsen werden zum Markenzeichen einer Erzählung, die um Linearität und Vollständigkeit einen großen Bogen macht. Die Struktur scheint in der Krise zu sein und dies verdeutlicht sich ebenso im Inhalt. MARSEILLE erzählt von Leere und dem Suchen nach den Fluchtmöglichkeiten aus dieser Leere. Er handelt auch vom Tauschen und Ausgetauschtwerden. In den Episoden in Berlin verschwindet Sophie sogar für eine ganze Weile oder taucht nur als Nebenfigur auf. An ihre Stelle betritt dann ihre beste Freundin Hanna die Bühne und das ist schon fast wortwörtlich zu verstehen, weil sie Theaterschauspielerin ist und der Zuschauer minutenlang Proben zu sehen bekommt, bei welchen auch die Depressivität und die Unruhe Hannas zum Ausdruck kommen. Obwohl sie nur eine kleine Sprechrolle hat, findet sie sich nicht in dem Stück zurecht. Unsere Sophie hat zu diesem Zeitpunkt ohnehin keine Orientierung mehr, wenn sie überhaupt in den Momenten existiert, in welchen wir sie nicht zu sehen bekommen. Struktur und Ordnung können in diesem Kosmos keinen Sitz mehr finden - einzig die Fotos, die Sophie macht und einmal an einer Tafel aufhängt, haben etwas Geordnetes. Es dürfte keinem Zufall geschuldet sein, dass sie gerade vom Straßenverkehr angetan ist. Denn mit einem Druck auf die Schusstaste lässt sie Autos und Busse stillstehen, nimmt den Lärm heraus, schafft auf diesem Weg eine Gliederung und produziert ein klares Bild, das sie von ihrem restlichen Leben ansonsten nicht hat.

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