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Marketa Lazarová (1967)

MARKETA LAZAROVÁ
Regisseur: František Vláčil
Tschechoslowakei 1967

Es ist schon ziemlich schwierig sich den Superlativen, welche in Verbindung mit MARKETA LAZAROVÁ fallen, nicht anzuschließen. Nicht selten wird er in einem Atemzug mit Filmen wie DIE SIEBEN SAMURAI und ANDREJ RUBLJOW genannt, wenn es um verfilmte Historie geht. Doch nicht nur qualitative Parameter werden herangezogen, es wird auch auf inhaltliche und ästhetische Parallelen zwischen dem tschechoslowakischen Schwarzweißfilm und den beiden genannten Kanonwerken hingewiesen. Dabei tauchte er auf dem Schirm der meisten Cineasten erst Mitte der 2000er auf und seine Kinopremiere in Deutschland hatte der Film 2016. Bei tschechischen und osteuropäischen Experten war er jedoch schon lange vor seiner Eingliederung ins Weltkino ein Werk, das kompetente kinematografische Kunst in Kübeln kredenzt, nicht wenige sehen in ihm aus diesem Grund auch den besten tschechischen Film aller Zeiten. Er basiert auf dem gleichnamigen Roman des böhmischen Schriftstellers Vladislav Vančura, welcher seinerzeit zu den literarisch interessantesten und experimentellsten Stimmen des Landes gehörte, bevor er 1942 von Nazis ermordet wurde. František Vláčils Interpretation des historisch absichtlich unsorgfältigen Romans soll eine ziemlich freie sein und enthält wohl einige Details, die in der Vorlage gar nicht vorkommen. So legt der Film auch ein Augenmerk auf geschichtliche Einheitlichkeit und Akkuratesse, was sich in Kleidung, Sprache und zivilisatorischem Entwicklungsstand widerspiegelt.

Die Geschichte des Films spielt im 13. Jahrhundert und wird zwar größtenteils chronologisch erzählt, enthält jedoch auch viele Flashbacks und visuell formulierte Gedanken. Unterteilt ist MARKETA LAZAROVÁ in verschiedene Kapitel, welche stets mit einer stichpunktartigen Zusammenfassung beginnen. Diese Zusammenfassung kann als Orientierungshilfe für den Zuschauer dienen, da dieser oft nicht einmal weiß, wie viel Zeit zwischen den verschiedenen Kapiteln vergangen ist. Lustigerweise sind die Kapitelspoiler ähnlich konfus wie der gesamte Film, da sie teilweise unvollständig sind oder eine seltsame Gewichtung der Ereignisse vornehmen. Die Story ist in einen zeitlichen Kontext eingebunden, in dem sich Christen und Heiden verfeindet waren und das Christentum noch nicht die Deutungshoheit über die gesellschaftlichen Entwicklungen übernommen hatte. Diese Feindschaft wird im Film durch zwei Clans repräsentiert, die auf primitive Weise leben und handeln. Es wird gemordet, geraubt und vergewaltigt. Die titelgebende Figur ist dabei eine junge Frau, die entführt wird und mit einem Mann des verfeindeten Clans leben muss. Anders als erwartet, kann sie nur als zentrales Element gedacht werden, wenn man unbedingt sich eines aussuchen muss. Denn eigentlich nimmt sich der unkonventionell erzählte Film die Freiheit heraus, auf eine Charakterzentrierung zu verzichten.

Dass MARKETA LAZAROVÁ von der bekannten Filmgeschichtsschreibung im besten Fall stiefmütterlich, im Normalfall sogar verschwiegen wurde, liegt vor allem an zwei Dingen. Zum einen ist das 159 Minuten andauernde Werk erzählerisch unheimlich sperrig und mal so gar nicht freundlich gegenüber Menschen, die im Moment der Sichtung nur die Hälfte ihrer geistigen Kapazitäten gebrauchen wollen. Zum anderen ist da die markante, aber gleichzeitig wilde visuelle Schöpfung, die auf eingängige Muster und Stempel verzichtet. MARKETA LAZAROVÁ war mehr als nur anderen zeitgenössischen Projekten voraus. Ich möchte sogar kühn behaupten: Wenn Vláčil heute als damaliger Mensch leben und den Stoff verfilmen würde, dann könnte der Streifen Frame für Frame genau so ausschauen. Mittlerweile ist man als offener Zuschauer bereit für diese poetische Wucht und die extrem flexible Kamera, die genau weiß, wann sie stillzustehen, zu schwenken, sich zu bewegen oder gar zu wackeln hat. Schon in Vláčils erstem Film HOLUBICE (DIE WEISSE TAUBE), 1960 erschienen und in Venedig ausgezeichnet, spürt man das assoziative Temperament des Schnitts und sieht die poetisch-visuell aufregende Bekleidung der Story. Doch vor allem in dieser expressiven Darstellung des Mittelalters, die wir in MARKETA LAZAROVÁ bewundern können, kulminiert seine Liebe zum Kino als audiovisuelle Erfahrung. Dabei ist er so unberechenbar wie auch unnachgiebig. Menschen können sich jederzeit vor die Kamera schieben oder von dieser ausgeklammert werden; Dialoge oder Monologe können zum Bildinhalt passen, müssen es aber nicht; eine Stimme kann so klingen, als wäre der Mensch direkt vor der Kamera, obwohl man ihn kaum noch sieht, weil er weiter entfernt steht; und was nun ein Flashback ist und was nicht, das weiß man eigentlich selten sofort. Aleksei Germans vor einigen Jahren erschienener anachronistischer TRUDNO BYT BOGOM (ES IST SCHWER, EIN GOTT ZU SEIN) wirkt ähnlich aufregend und pulsierend in seiner optischen Experimentierfreudigkeit, wenngleich der russische Film sich deutlich mehr der Groteske und dem Dreck verschreibt.

Mit der Kameraarbeit von Bedřich Batka, der später in die Staaten emigrierte und dort unter anderem tatsächlich das Teen-Drama LITTLE DARLINGS (1980) aufnahm, soll er sich dennoch weniger angefreundet haben. Im endgültigen Werk fehlt von einer inkompetenten Bedienung jedoch jede Spur. Die Bewegungen, die Stillstände und die Cadrage sind von einem lyrischen Geist geprägt, der den Film nicht absichtlich unorthodox werden lässt, damit wir an seinen Konfusionen kollabieren. Die wilde optische Lust handelt ganz im Auftrag eines Plots, den wir bruchstückhaft erfahren, erleben, einsaugen und dessen Löcher und Leerstellen wir nie ganz begreifen werden. Ein zentrales Element ist in MARKETA LAZAROVÁ die schwer beeindruckende Komposition von Zdeněk Liška, der sehr viel mit zarten Xylofontönen und altertümlicher Kirchenmusik sowie der fremdartigen Atmosphäre entgegenkommenden Chören arbeitete. 1967 war übrigens ein verdammt gutes Jahr für František Vláčil, da kurze Zeit später der hervorragende, ebenfalls im 13. Jahrhundert spielende ÚDOLÍ VČEL (DAS TAL DER BIENEN) entstanden ist, der weder narrativ noch visuell in der gleichen Komplexitätsliga spielt, jedoch wieder mit unfassbarem Könnertum hinsichtlich der Bildkomposition aufwarten kann. DIE WEISSE TAUBE, die beiden Mittelalter-Epen von 1967 und der optisch schon etwas eingängigere ADELHEID (1969/1970) haben übrigens alle ein zentrales Thema: menschliche Leidenschaften unter dem Druck beziehungsweise im Kontext sozialer Kräfte und Mechanismen.

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2 Kommentare

  1. Hoppla, Totgesagte leben länger ,,, :-Þ

    War mir noch gar nicht aufgefallen, dass hier schon seit Wochen wieder etwas los ist. Aber Marco Koch war aufmerksamer und hat in Das Bloggen der Anderen darauf hingewiesen. Na dann, auf ein Neues!

    Und MARKETA LAZAROVÁ ist wirklich eine Wucht. Ich glaube, irgendein Gremium (Vereinigung der tschechischen Filmkritiker oder sowas) hat ihn tatsächlich mal offiziell zum besten tschechischen Film aller Zeiten gewählt.

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  2. Oh, stimmt. Der Marco ist echt ein guter.
    Ich war ja nie wirklich weg. Habe jedoch nur im Stillen relativ viel mitgelesen, ohne selbst aktiv zu werden.

    Auf ein Neues. Gibt ja leider nicht sehr viele Blogs, die nach Jahren Inaktivität wieder aktiviert und revitalisiert werden.

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