LIFEBOAT
USA,1944
Genre: Drama
Dauer: 97 Minuten
Regisseur: Alfred Hitchcock
Drehbuch: John Steinbeck, Jo Swerling, Alfred Hitchcock
Darsteller: Tallulah Bankhead, William Bendix, Walter Slezak, Mary Anderson, John Hodiak, Henry Hull, Heather Angel, Hume Cronyn
Ein amerikanisches Schiff wird von einem deutschen U-Boot torpediert,
woraufhin beide Fahrzeuge sinken. Insgesamt können sich nach der Attacke
jedoch zehn Passagiere auf ein kleines Rettungsboot retten, unter
anderem auch ein Deutscher, der, wie es sich später rausstellen wird,
nicht ein Matrose, sondern Kapitän des U-Boots gewesen ist. Nach einer
emotional geladenen Diskussion, wie man mit dem Deutschen verfahren
soll, einigt man sich mehr oder wenig zufriedenstellend darauf, ihn auf
dem Boot zu lassen, da er den Status eines Kriegsgefangenen hat. Doch
die moralischen und juristischen Argumentationen seiner Verteidiger, die
ihm das Leben retten, nutzt der Deutsche schamlos aus, indem er
vorgibt, kein Englisch zu verstehen und zu sprechen. Des Weiteren bringt
er sie vom Kurs auf die Bermudainseln ab, die alle anderen Insassen zu
erreichen hoffen, und überredet sie eine andere Richtung einzuschlagen,
in welcher er ein deutsches Schiff erwartet. Den Amerikanern machen aber
nicht nur der Nazi oder das Unwissen über ihre tatsächliche Position
auf dem Meer sorgen, sondern auch der Mangel an Essensrationen und
Wasser. Sie werden immer müder und ihre anfangs noch positive
Einstellung nimmt stetig ab.
Steinbecks (FRÜCHTE DES ZORNS, VON MÄUSEN UND MENSCHEN) von mehreren
Autoren bearbeitetes Drehbuch liefert einen Kommentar zum
Kriegsgeschehen während des Zweiten Weltkriegs ab und provozierte die
zeitgenössischen Kritiker und Kenner damit, dass es einen Deutschen als
heimtückischen Antagonisten aufwies, der die Amerikaner an der Nase
herumführte und sich step by step hochlügen konnte, obwohl neun Menschen
konsequent gegen ihn hätten sein müssen. Diesen Angriffspunkt (der in
meinen Augen gar keiner ist) kann man heute eigentlich nur aufgreifen,
wenn man auch erwartet, dass das Übel, das für die Katastrophe
mitverantwortlich ist, außer Reichweite gebracht wird, in der er den
anderen, den "Guten", moralisch, physisch, seelisch oder sonst wie
Schaden zufügen kann. Die Macher ließen sich aber nicht auf das Spiel
ein, ein gewünschtes Menschenbild zu skizzieren, sondern organisierten
eine Situation, in welcher sie die Nicht-Nazis auf die Probe stellen,
die zwischen unterschiedlichen Werten verfangen sind und darum in der
Klemme stecken. Dass der Deutsche die Uneinigkeit und die
Unaufmerksamkeit der anderen sowie die später ihm freiwillig übergebene
Führung ausnutzen kann, reproduziert nicht das Bild von einer
überlegenen Rasse, viel mehr lässt die Listigkeit ihn noch böser werden,
was ihn und - weil er der einzige Nazi auf dem Schiff ist - die
Vertreter derselben Ideologie als hochgefährlich für das Zusammenleben
einstuft. Wenn man es aus einer konstruierten Perspektive der Nazis sah,
wie es viele Kommentatoren nach dem Release taten, dann äußerte man
seine Bedenken natürlich nicht ohne gute Gründe, doch verschwieg man
damit auch einige Elemente oder simplifizierte die Konstellation nur
unnötig.
Da der Dreh- und Angelpunkt im ganzen Film ein Boot mit zehn Passagieren
ist, sehen wir über 90 Minuten lang nichts anderes, als ein
schwimmendes Fahrzeug und Menschen darauf, die um das Boot herum zu
allen Richtungen ständig das gleiche Bild sehen müssen, nämlich das Meer
und den wolkenverhangenen Himmel, die sich in der weiten Ferne zu
berühren scheinen. An Bord sind drei Frauen und sieben Männer, die alle
unterschiedliche Positionen in der Gesellschaft haben und auf dem
kleinen Raum irgendwie miteinander auskommen müssen. Da der Nazi zuerst
vorgibt, dass er über keine englischen Sprachkenntnisse verfügt,
beseitigt Connie Porter, eine Reporterin, die Sprachbarriere, indem sie
zur Verständigung mit dem U-Boot-Passagier Willi ihr Deutsch gebraucht
und zwischen ihm und den anderen Amerikanern vermittelt. Diese sind gar
nicht gut auf ihn zu sprechen, manche möchten ihn gar aus dem Boot
werfen und im Meer sterben lassen. Erst als Willi dem Deutschamerikaner
Gus Smith (der ursprünglich "Schmidt" hieß, aber seinen Namen aus Scham
vor seinen Landsleuten in "Smith" ändern ließ) ein Bein amputiert, kann
er die Stimmung gegen sich ein wenig lockern, wenngleich die
Ressentiments noch größtenteils bestehen bleiben. Da er der Kapitän des
vermaledeiten U-Boots gewesen ist, vertraut man in seine Kenntnisse auf
dem Meer und auch darauf, dass er sie nicht hinters Licht führt. Als sie
ihn jedoch der Lüge überführen und sogar einen Kompass bei ihm
entdecken, sieht es zuerst so aus, als ob sie bald nur noch zu neunt auf
dem Boot sein würden. Doch als dann ein sehr heftiger Sturm das Boot zum Wackeln
bringt und das Wasser rein- und rausströmt, ändern sich schlagartig die
Verhältnisse. Der Deutsche übernimmt im wahrsten Sinne des Wortes das
Ruder, packt sein sehr gutes Englisch aus und bringt den Rest dazu,
nicht mehr die Stimme gegen ihn zu erheben.
Wie der Rest des Films folgt diese Umkehr der Konstellation einem
realistischen Gedanken. Auf diese eine Situation hat der Deutsche
nämlich wie eine Katze vor dem Mauseloch gewartet und die Bedingungen im
Vorhinein so verändert und manipuliert, dass er ein leichtes Spiel
haben würde. Realistisch und psychologisch nachvollziehbar ist es auch
deshalb, weil die Mitglieder erschöpft und mit ihren Kräften schon am
Ende sind, während der Nazi seine physische und mentale Kraft daraus
zieht, dass er auf ein Schiff steuert, das ihn schon freundlich
empfangen wird. Das Üble aus seinem Charakter scheint für die Amerikaner
paradoxerweise zu verschwinden, sitzend und liegend scherzt man sogar
augenzwinkernd über die deutsche Vorstellung vom Herrenmenschen und
fühlt sich mit der Führung eines Mannes, der Tage zuvor noch ein
Passagierschiff versenkt hat, zufrieden, denn schließlich nimmt er ihnen
die Last ab, sich mit der Fahrt zu beschäftigen. Das Betrügerische des
Deutschen offenbart sich dem Zuschauer immer früher als den Charakteren,
weil DAS RETTUNGSBOOT die Geschichte aus zwei Blickwinkeln
betrachtet, oder zumindest noch einen zweiten Blickwinkel hinzuzieht.
Aus dieser von Hitchcock angewendeten Methode, das Unheilvolle im
Vorfeld aufzudecken, speist sich die klassische Spannung, da sie
Fragen nach der Reaktion der Beteiligten aufwirft. Eine andere Antwort
darauf, warum der Film in jeder Minute fesselnd ist, findet man in der
Kompaktheit der Geschichte, die sich auf einer begrenzten Spielfläche
abspielt. DAS RETTUNGSBOOT ist im Prinzip ein Kammerspiel unter
offenem Himmel, ein Vorgänger zu Klassikern wie BEI ANRUF MORD oder COCKTAIL FÜR EINE LEICHE, welches dazu noch den Hintergrund des
Krieges nutzt, um für Aktivität gegen Menschenverbrecher zu werben. Was
allerdings nicht bedeutet, dass er, wenn man eine Aussage aus dem
Geschehen ziehen möchte, von seinem zeitlichen Kontext
nicht zu trennen ist.
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