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Glen or Glenda

Glen or Glenda



USA, 1953
Genre: Drama
Regisseur: Ed Wood
Darsteller: Bela Lugosi, Dolores Fuller

Nach dem Selbstmord eines Transvestiten konsultiert Inspektor Warren den Arzt Dr. Alton, um sich von ihm über moderne Männer, die gerne Frauenkleidung anziehen, beraten zu lassen.  Er möchte vor allen Dingen erfahren, warum sich ein solcher Mensch umbringt. Die Konversation kommt schnell auf den Fall Glen/Glenda, in dem ein Mann sich nicht traut, seiner Geliebten zu beichten, dass er eine Leidenschaft dafür hat, sich als Frau zu verkleiden.

Art or Trash

Kommentar: Selbst das wohl nüchternste, ja idiotensicherste Element dieses Films, der Eingangstext, könnte nach dem Schauen des Films einige Fragen aufwerfen, da in diesem behauptet wird, der Film beinhalte einen "stark realism". Ed Woods aufklärerischer Streifen über Transvestiten ist aber natürlich eher das Gegenteil eines realistischen, sachlich-ruhigen Werks. Die Ambitionen bei einem der unterbewertetsten Filmemacher der Welt waren unverkennbar groß, was unter anderem auf seine Biografie zurückzuführen ist. Wood sah sich nämlich selbst gerne in Frauenkleidern und hatte mit diesem Film die Absicht, Toleranz und Akzeptanz einzufordern. Ob die Welt um eine kleine Zunahme toleranter Menschen reicher geworden ist, darf jedoch bezweifelt werden. Allerdings ist die Intention hinter GLEN OR GLENDA maximal zweitrangig, denn einen höheren Stellenwert besitzt die Umsetzung des Projekts.

 Informiert man sich über den Inhalt, dürfte die Erwartung oder die Hoffnung nach einer strikt hirnfeindlichen Form der Unterhaltung niedrig sein. Doch Ed Wood wäre nicht der großartige, von Experten verkannte Ed Wood, wenn er sich an die in den Köpfen festgeschriebenen, stillen Reglements zwischen Künstler und Zuschauer halten würde. Sei es das man ihm nicht folgen kann, weil er es nicht will, oder, ob man ihm nicht zu folgen vermag, da er das Handwerk der fiktionalen Erzählung nicht beherrscht, spielt im beinahe experimentellen Universum von Wood kaum eine Rolle. So abgedroschen es jetzt klingen mag, in GLEN OR GLENDA steckt ordentlich viel Herzblut.

Durch das beseelte Hüpfen zwischen Dokumentation, Drama und Essay bricht der Regisseur den Boden der Filmregeln komplett auseinander und was sich dort unter dem Boden zeigt, ist ein göttlicher Reichtum an köstlichen Whatthefuck-Momenten. Ein seltsam ernster Sprecher, der in pseudo-philosophischer Manier die Situation des modernen Mannes hinterfragt; das ständig wiederkehrende Nonsense-Gequatsche eines Wissenschaftlers und Erzählers, der genauso gut eine drollige Vorstellung von Gott sein könnte; die unbeholfene Art der Montage, bei der zusammenhanglose Bilder aneinandergekettet werden, das ist nur der Anfang. Diese Faktoren begreifen sich als die Ruhe vor dem Sturm. Erst in der zweiten Hälfte fährt GLEN OR GLENDA die ganz schweren Geschütze auf, dann nämlich, wenn Surrealismus die Oberhand gewinnt und wir uns die Frage stellen, ob wir gerade träumen oder das Gezeigte tatsächlich passiert, im Film.

Es gilt zwar als nicht kontrovers zu behaupten, dass Woods Filme vor unfreiwilligem Humor sprudeln, doch in GLEN OR GLENDA findet sich ein Hinweis, der die Annahme, Wood könne auch freiwillig unglaublich witzig sein, prinzipiell stützt. Die gänzlich absurdeste Sequenz ist jene, in der zwei Frauen vor einem schwarzen Hintergrund die Zeit mit abstrusen Fesselspielen verbringen. Das entlockt selbst dem auf einem Sessel sitzenden, isolierten Wissenschaftler, genial verkörpert durch den einzig wahren Bela Lugosi, einer keiner Worte bedürftigen Was-zum-Teufel-Reaktion. Die Zusammenschnitte von Szene (Frauen) und Reaktion (Wissenschaftler) sind wahrscheinlich die einzigen Passagen, welche von einer Beherrschung des normativen Bildvokabulars zeugen, zudem es auf einer höheren Ebene emblematisch für das Verhältnis zwischen GLEN OR GLENDA und dem Sichter steht. Lacht Wood selbst über sein Werk oder lacht er über den zuständigen Produzenten George  Weiss, der die Verantwortung für das Auftauchen der Bondage-Sequenzen trägt? Oder ist das alles nur ein Zufall?

Für die Einordnung in den Zwischenbereich von Kunst und Schund prädestiniert, entgeht GLEN OR GLENDA nicht der Interpretation, selbst ein Transvestit zu sein. Ein filmischer Transvestit, wenn man das so sagen darf, da er Trash ist, doch vom ganzen Herzen eigentlich ein seriöser Aufklärungs-Streifen sein möchte. In gewissem Sinne, zumindest sobald man sich von starren, Fantasie killenden Deutungsformeln löst, tritt er also nicht bloß für Transvestiten und Transsexuelle ein, sondern für jene Filmkunst, die als untauglich oder unmoralisch verschrien ist, weil sie sowohl mit den Gesetzen des Marktes wie/oder auch mit den Vorzügen des durchschnittlichen Kritikers schwer oder gar nicht kompatibel ist.


9/10

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3 Kommentare

  1. Sehr schöner Text, interessante Deutung. Ich selbst habe mich bislang noch nicht an "Glen Or Glenda" herangewagt, aber der Tag wird kommen. :)

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  2. Danke für die tolle Würdigung eines zu Unrecht milde belächelten Regisseurs.
    GLEN OR GLENDA war rein inhaltlich gesehen ein außerordentliches Plädoyer für sexuelle Toleranz, das angesichts des damals noch gut aufgestellten Regime des Production Code doch überaus mutig war. Schon nur deshalb (Humanismus mit Mut gekoppelt) hat mich dieser Film außerordentlich beeindruckt.
    Was die Form betrifft, kann man sich in der Tat nie ganz sicher sein, inwiefern das Gesehene und die Wirkung des Gesehenen in Woods Intentionen lag, es ändert aber nichts daran, dass seine Filme extrem bizarr und deshalb interessant aussehen. Wenn ich es recht in Erinnerung habe, wird etwa die Handlung immer wieder durch die selben Bilder von Autos auf einem Highway durchbrochen (oder eben durch Lugosi an einem Chemie-Baukasten oder Fesselspiele): auch beim Zuschauer selbst einige "Was-zum-Teufel-Reaktionen". Es ist befremdlich, weil es gegen übliche Sehgewohnheiten und Konventionen verstößt. Dass dies vielleicht Woods so genannter „Unfähigkeit“ entspringt (auf jeden Fall die Unfähigkeit, einen Film in einem konventionellen Look zu drehen), ist schlussendlich irrelevant. Sich bei einem merkwürdig gemachten Film beständig zu fragen, ob das wirklich absichtlich gemacht wurde, ist letztlich spannender als sich bei einem „klassisch“ gut gemachten Film vor sich hin zu langweilen.

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  3. @ david: Ja, finde den Film auch mutig aufgrund seiner Message, weshalb es mich sehr interessieren würde, wie Männer mit der thematisierten Veranlagung diesen Film damals empfunden hatten. Haben sie sich gesagt: "Ja, einfach toll, dass jemand die Gesellschaft mal aufklärt". Oder eher: "Naja, guter Einfall, aber schlechte Ausführung." In dieser Sache müsste ich irgendwann Mal noch Recherche betreiben.

    @ Schlombie: Als ich ihn das erste Mal sah, kam ich nur bis zur 15 Minuten, oder so. Ich fands unglaublich zäh und total unaufregend, und natürlich wirr, obwohl ich mit dem so genannten Trash-Kram sonst ziemlich gut auskomm. Ich glaube, man muss in der richtigen Verfassung sein, um diesen Film bis zum Ende zu sehen - und eventuell zu mögen. Nur keine Eile, also. ;-)

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