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Bolschaja Semja (1954)


BOLSCHAJA SEMJA
(Eine große Familie)
Regisseur: Iossif Cheifiz
Sowjetunion 1954

Allgegenwärtiger Kummer

Die Schurbins sind seit vielen Jahrzehnten Schiffbauer und ganze drei Generationen leben zusammen unter einem Dach. Aufgrund einer Neuorganisation der Produktion und ihrer Abläufe müssen sich viele Mitglieder der Familie umschulen lassen, um einen neuen Beruf auszuüben. EINE GROSSE FAMILIE spielt innerhalb des Schiffbaumilieus auf eine bescheiden-unaufgeregte Art universelle Generationskonflikte, Ängste vor Modernisierungsmaßnahmen und Dramen durch, denen man instinktiv aus dem Weg gehen möchte. Die Arbeiterklasse sei die Basis zivilisatorischer Existenz heißt es im Anfangs- und Schlussteil eines Films, der nach allen Maßstäben jederzeit Ensemblekino bleibt. Zwar werden einige Charaktere und Handlungsstränge mehr herausgearbeitet als andere, aber insgesamt ordnet sich alles und jeder dem narrativen Organismus unter. Ein Arbeiterfilm in mehrdeutigem Sinne also, für den der Hauptcast aus 16 Schauspielern zusammen mit Spencer Tracy (für BAD DAY AT BLACK ROCK) 1955 in Cannes prämiert wurde. Wie in einem dicken Wälzer von Tolstoi oder Dostojewski dauert es eine Weile, bis man jede Figur in ihrer Stellung in der Handlung und ihrer Position zu den anderen Figuren nachvollziehen kann. Doch trotz der vielen auf- sowie abtretenden Personen und einem gezeigten familiären Bezugssystem, schauen wir immer wieder gewählter oder hingenommener Einsamkeit und Isolation zu. Charaktere bleiben mit ihren Enttäuschungen, Ängsten, verletzten Gefühlen oder ihren Zweifeln mitunter allein. Dann verwachsen sie mit der Umgebung, ganz so als wären sie Teil eines künstlerischen Bildes, bis das Telefon zu bimmeln anfängt oder jemand nach ihnen ruft. Auf den Farbbildern klebt ein differenziert-poetisches Lebensgefühl, eine Dichtung über die unvorhersehbare Struktur des Daseins und über die melancholische Vergegenwärtigung einer Zeit, die das Vergangene kompromisslos schluckt. Die Alten fühlen sich neuen Anforderungen und Erkenntnissen kaum noch gewachsen und sehen schon die dunklen Wolken, die angeblich bald über sie herüberziehen werden. Dazulernen und sich weiterbilden tut man nur verschämt und im Geheimen, denn schließlich sollen die Jüngeren den Respekt vor den Erfahrenen nicht verlieren. Kummer ist allgegenwärtig in Cheifizs Familienporträt, das das Suhlen in ausladender Epik vermeidet, stattdessen lieber zur Komprimierung neigt und manchmal gar über Ellipsen nicht hinauskommt. Um die Bedeutung der Umgebung oder eine besondere Beziehung zu den Schiffbauern geht es dem in Weißrussland geborenen Regisseur aber nie, womit er prononciert, dass seine Geschichte in so gut wie jedem anderen Arbeiterumfeld spielen könnte. Wenngleich vornehmlich männliche Verlorenheitsempfindungen adressiert werden, bleiben Frauen alles andere als eindimensionale, auf einen Nenner zu bringende Wesen. Vernachlässigte Frauen und untreue Frauen; verlassene Frauen und Frauen, die verlassen; Frauen, die kein Mitleid brauchen, und Frauen, die es doch tun - der einzige Wermutstropfen dabei ist nur, dass sich ihr Wesen und ihre Emotionen immer durch den Bezug zum Mann konstituieren.

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