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Malastrana

LA CORTA NOTTE DELLE BAMBOLE DI VETRO
Italien/Deutschland/Jugoslawien, 1971
Genre: Thriller
Dauer: 92 Minuten

Regisseur: Aldo Lado
Drehbuch: Ernesto Gastaldi, Aldo Lado
Darsteller: Jean Sorel, Ingrid Thulin, Mario Adorf, Barbara Bach, Fabijan Sovagovic, José Quaglio, Relja Basic, Piero Vida

Bevor Regisseur Aldo Lado 1972 seinen Giallo-Klassiker THE CHILD drehte, erschien ein Jahr zuvor sein Debüt, das nicht weniger seine Fähigkeiten bei der Inszenierung unter Beweis stellte. Ihm gelingt fabelhaft, Eindrücke zu schaffen und Figuren in einem verworrenen System einzusperren. Figuren, die für ihr Recht kämpfen und eine skeptische Einstellung gegenüber polizeilichen Ermittlungen mitbringen. Figuren, die nicht ahnen, welche Luken sie alles mit ihrer Schnüffelei öffnen und die nicht wissen, welche diabolischen Elemente hinter Fassaden nur darauf warten, ihre wahre Fratze zu zeigen. Sie werden hinters Licht geführt und ihre alten, verniedlichenden Vorstellung vom Bösen werden schnell mal in Kleinholz verwandelt. In MALASTRANA sehen wir eine morbid wirkende Kulisse, ein unheimliches Prag, in dem ein amerikanischer Journalist tot aufgefunden wird. Da nach mehreren Stunden die Leichenstarre ausbleibt, versuchen die Ärzte, den Mann zu reanimieren. Wir als Zuschauer kennen jedoch die wahre Situation des Mannes, der denken, aber sich nicht bewegen kann, ja überhaupt nicht imstande ist, ein Zeichen der Aktivität nach außen zu tragen. Das Problem des scheintoten Mannes, dessen
körperliche Verfassung für die anwesenden Ärzte ein Rätsel darstellt, ist, dass er so gut wie nichts über sich selbst weiß und sein Wissen über seine Person erst zurück in sein Bewusstsein holen muss, damit ihm klar wird, warum ihn das Krankenhauspersonal für tot hält und er auf dem Obduktionstisch liegt.

Die Klärung darüber, wie es zum Scheintod überhaupt kam, versammelt im Laufe der Geschichte natürlich zahlreiche Wendungen. Der in der tschechischen Hauptstadt gedrehte MALASTRANA unternimmt keine Versuche, seine Konsumenten zu erschrecken oder sie mit behandschuhten Mördern vertraut zu machen. Man schwört stattdessen auf eine dichte Kriminalerzählung und den trostlos bis schaurig wirkenden Schauplatz mit seinen verwinkelten Gässchen und den grau- und gelbfarbenen, blassen, nicht mehr den frischesten Eindruck machenden Häuserfassaden. Der Fortschritt der Handlung ist nicht zäh zu nennen, auch wenn es in kurzen Abständen kleine Pausen gibt, in welchen wieder zurück in die Gegenwart geblickt wird, wo der arme Kerl für alle anderen Menschen immer noch wie ein Toter da liegt. In der von ihm konstruierten Rückblende erfahren wir, dass er Gregory Moore heißt und mit seiner Freundin Mira, einer Tschechin, eigentlich nach England fahren wollte. Doch dann fehlt von ihr jede Spur. Der Polizei vertraut der Journalist wenig und setzt sich deshalb auch selbst mit dem Verschwinden von Mira auseinander. Seine Kollegen bei der Zeitung unterstützen ihn zwar tatkräftig, doch können sie ihn nicht davor bewahren, die Türschwelle zu passieren, die ihn zu einem gefährlichen Geheimbund und damit ins Verderben führt.

MALASTRANA bringt im letzten Drittel auch eine politische Note mit und lässt sich als Reaktion auf die gescheiterten Liberalisierungsbemühungen der Kommunistischen Partei in der Tschoslowakei lesen, die sich Ende der Sechziger gegen die Reformfaulheit der Elite aufgelehnt hatte. Subtil transportiert zwar, doch aufgrund des Schauplatzes und des zeitlichen Kontexts mit Allgemeinkenntnissen über den Sozialismus entlarvbar, zumal Motive in die Handlung eingebunden werden, die eine solche Deutung erst recht plausibel machen. Lados Debüt überzeugt überdies mit Vielfalt und gewaltigen Kurven, die der Protagonist nehmen muss, wenn er nicht aus der Bahn geschleudert werden will. Gelegentlich ins Artifizielle abgleitend, profitiert der Film von dem dunklen und pessimistischen Ton der Geschichte, welche nicht einfach lieblos zum Verzehr hingeklatscht, sondern mit Kompetenz eingefangen wurde. Keiner Windung der Handlung mangelt es so an genügend Stimmung und kein Bild bietet buchstäbliche Leere, die uns kalt lässt. Aldo Lado steht dabei als Regisseur in einer Reihe mit den bekannteren Italienern Mario Bava und Dario Argento, die in ihren Debütprojekten ebenfalls ein auffallend hohes Maß an Verständnis für die Visualisierung mitbringen konnten.

Dieser Krimi, in dem ein Mosaiksteinchen nach dem anderen eingesammelt wird, kommt nicht ohne nennenswerte Unterstützung der Schauspieler aus. Es ist zwar schade, dass Ingrid Thulin einen relativ blassen Charakter bekam (sie spielt die ehemalige Geliebte der Hauptfigur und ist viel zu selten im Bild), doch bügelt sie das mit ihren Fähigkeiten aus und entlockt auf diese Weise ihrer Präsenz mehr Facetten, als es das Drehbuch eigentlich hergibt. Tatkräftig steht ihre Filmfigur Gregory zur Seite, der sich auch auf seinen Kollegen Jack verlassen kann, welcher von Mario Adorf gespielt wird und der seinen Kumpel zu keinen Zeitpunkt hängen lässt. In der Hauptrolle ist Jean Sorel zu sehen, ein vor dem Erscheinen von MALASTRANA etablierter Schauspieler der italienischen und französischen Leinwandprodukte, dessen bekanntester Film bis dato BELLE DE JOUR (1967) war. Die als "König von Mallorca" titulierte Schlager-Socke namens Jürgen Drews mischt hier ebenfalls mit, wenn auch sein Auftritt keine zwei Minuten dauert. Er zupft grinsend an der Gitarre und versucht mit einem Song, die Ohren der um ihn herumstehenden Menschen zu betören.

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