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Literatur: La tarde

LA TARDE
Mario Lacruz

(Auf Abendwegen, 1955, Spanisch)

Wurde in drei Sprachen übersetzt




In Erinnerungen schwelgen, an die Liebe denken und sich darüber Gedanken machen, wann man denn nun ins familiäre Nest zurückkehrt, weil die Situation das verlangt. David lebt in Barcelona und arbeitet in einem Verlag, scheint darüber hinaus jedoch nicht viel zu tun zu haben. Als ihn der Brief seiner Schwester erreicht, die ihn bittet, nach Figueras, seinem Heimatort, zurückzukommen, um den Familienbetrieb vor dem Ruin zu retten, sieht er sich gezwungen, seinen Alltagstrott aufzugeben. Die Geschichte spielt sich 1935 ab und findet vor dem Hintergrund politischer Unruhen statt, die später zum Spanischen Bürgerkrieg führen sollten. Über die gesellschaftlichen Vorgänge bekommen wir jedoch wenig Informationen, auch deshalb, weil sich der gut betuchte Protagonist David damit kaum auseinandersetzt, da er genug andere Sorgen hat, wie etwa die Entscheidung darüber zu treffen, ob er seiner Familie in der wirtschaftlichen Not unter die Arme greifen soll oder nicht - was für ihn bedeutet, zurück an den Platz seiner Kindheit zurückzukehren und damit Clementina, seine Jugendliebe, wiederzusehen.

Lacruz' Roman wurde nach seinem Erscheinen von spanischen Literaturexperten gelobt und machte den Mann, der vorher vor allen Dingen als Verleger bekannt war, auch als Schriftsteller zu einer wichtigen Marke. Mit der Kraft poetischer Töne ist AUF ABENDWEGEN eine melancholische Erzählung über Stolz und Niedergang, Begehren und Nachlassen, Versammeln und Auseinandergehen geworden, durch die man sich niemals durchkämpfen muss, weil es keine langatmigen Passagen gibt, die der Lesefreude einen Strich durch die Rechnung machen. Mit zwei unterschiedlichen Erzählinstanzen spielend, einer Innen- und einer Außensicht, steht die Figur des David René überdies niemals unter Verdacht, eindimensional geraten zu sein. Allerdings könnte es hierbei die Krux geben, dass man sich als Leser nicht sofort damit anfreunden kann, weil man von anderen Büchern einen unkomplizierteren Stil gewohnt ist. Hat man diese kleine Hürde jedoch genommen, stehen einem die Gedankenreiche des Protagonisten sowie der Blick des auktorialen Erzählers aber vollständig offen, und man kann jeder Enthüllung und Erinnerung perfekt folgen.

"Früher oder später kommt ein Moment, in dem wir zuverlässig wissen, dass die Möglichkeit des Unvorhergesehenen nicht mehr in unserem Leben wirken kann, und von diesem Moment an werden wir alt."

Über Erinnerungen bewegt der Roman das Nichterzählte, das manchmal Verdrängte oder Unausgesprochene an die Oberfläche. Erst nach und nach erfahren wir, was mit einigen der im Roman beschriebenen Personen geschehen ist, von denen wir die meisten erst im letzten Drittel in der Jetztzeit des Buches erleben, da sie für uns vorher vornehmlich nur als Skizzen aus der retrospektiven Sicht Davids vorgestellt wurden. Dennoch nehmen wir von diesen Nebenfiguren selten mal mehr als einen Umriss wahr. Selbst Clementina, die heimliche zweite Hauptfigur des Buches, bleibt hinter den Erwartungen zurück, die man an sie vor dem ersten, nach langer Zeit erfolgten Zusammentreffen zwischen David und ihr gestellt hat. Doch möglicherweise unterwandert gerade David die Erwartungen, weil er die Beziehung anders anpackt, als man es erwartet hat. Er geht am Ende einige Schritte zurück, seine Situation wirkt psychologisch verzwickt, er ist ganz und gar nicht glücklich und trotzdem artet das Buch auf den letzten Seiten nicht in Selbstmitleids-Geflenne aus.

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