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KKKK 90: Speed (1994) & The Truman Show (1998)

KKKK 90

KultKanonKlassikerKritikerliebling 

In der Reihe KKKK 90 befasse ich mich mit in den 90ern erschienenen us-amerikanischen Produktionen, die Rang und Namen haben. Einige habe ich schon seit 15 Jahren nicht mehr gesehen, manche noch gar nicht. Und dann gibt es ja auch noch die, die man am liebsten eigentlich gar nicht sehen möchte. Diese Neunziger sollen ein komisches Jahrzehnt sein und, glaubt man der Masse der Cineasten, sogar angeblich das schlechteste, nicht zuletzt aufgrund der Ideenlosigkeit des US-Kinos, den schlecht gealterten Effekten, den pseudoschlauen Augenzwinkereien etc.

SPEED
Jan de Bont, 1994

Ein tot geglaubter Erpresser kontaktiert den Bombenspezialisten Jack, um ihm mitzuteilen, dass er eine Bombe in einem Bus platziert hat, die explodiert, sobald das Fahrzeug weniger als 50 Meilen pro Stunde fährt.

Die Prämisse wird zur Devise erklärt. Der Film hat nicht bloß sein Herz stets am rechten Fleck, sondern auch seinen Fuß auf dem Gaspedal. Sandra Bullock darf nicht unter 50 fahren, der Film nicht stehen bleiben. Zwei Jahrzehnte vor MAD MAX: FURY ROAD drehte Jan de Bont dieses Actionspektakel nach einem Drehbuch des damals noch Kino-unerfahrenen Graham Yost, welcher Motive aus RUNAWAY TRAIN (1985) und dem 1973 erschienenen japanischen Thriller PANIK IM TOKIO-EXPRESS in eine Story zusammenbrachte, die Keanu Reeves ins Genre des Bombasts und der Lautstärke katapultierte und Sandra Bullock eine Performance abrang, die sich positiv auf ihre weitere Laufbahn als Schauspielerin auswirkte. Ihren beiden porträtierten Figuren stand man sogar eine Romanze zu, wenngleich diese als Ballast betrachtet werden kann, die SPEED eigentlich nicht nötig hätte. Denn als skelettierter Actionkracher tut er sich wahrlich keinen Gefallen damit, auch noch die Forderungen nach Schmusereien zu alimentieren. Da hilft es in diesem Fall nicht, dass BUFFY-Erfinder Joss Whedon kurz vor Beginn der Aufnahmen noch um die Ecke kam und fast alle Dialogzeilen umformulierte, um dem Skript mehr Pfeffer zu geben. Auch die Romanze wird auf diesem Weg natürlich ins Kabinett der ironischen Brechungen, Augenzwinkereien und Oneliner verfrachtet: I've heard relationships based on intense experiences never work. Ach, diese herrliche Neunzigerjahre-Schläue. Wer nun aber denkt, dass ich den Film zur Sau machen will, mit ihm auf Kriegsfuß stehe oder ihm die Pest an den Hals wünsche, der hat sich geschnitten. Denn abgesehen von dieser inessenziellen Romanze spricht aus dem Film stets ein essenzieller Marschschritt, dessen Taktung das Wesen des Actiongenres nahezu in Perfektion einfängt. Vor seinem Zuschlag für SPEED sammelte de Bont in vielen bekannten Filmen des Genres als Kameramann Erfahrung und arbeitete mit Regisseuren wie John McTiernan und Ridley Scott zusammen. Das schaut man dem Film an, den nicht wenige als DIE HARD auf Rädern bezeichnen. Minimalistischer natürlich und kostengünstiger sowieso, aber mit einer ähnlichen Courage gegenüber Pathos und der gleichen Sehnsucht nach Thrill. De Bonts Werk treibt die Momente, in denen es eng wird, irgendetwas in allerletzter Sekunde passiert, verdammt gerne inflationär auf die Spitze. Aber die Macher tun es auf eine merkwürdig höfliche Weise, sodass man ihnen gar nicht böse werden kann. Diese Höflichkeit finden wir übrigens auch in Keanu Reeves Figur wieder, der als neuer Fahrgast im fahrenden Bus zuerst einmal deutlich signalisiert, dass er die Gebote des Miteinanders gar nicht so scheiße findet. Klar, er ist einer von diesen Spezialisten, die für den Staat Bomben entschärfen und damit automatisch irgendwie ein Guter. Aber Reeves legt seinen Jack so an, als wäre dieser ein Gast, der eine Party stören würde und dem es jetzt irgendwie unangenehm ist, weshalb er denkt, dass er sich ganz besonders anständig verhalten müsste. Er schreit zwar, wird auch mal handgreiflich, gibt klare Befehle - aber keine noch so ausweglos erscheinende oder extreme Situation kriegt die Zivilisiertheit aus ihm heraus. Zusammengehalten wird die Hektik und die Spannung von dem nach vorne preschenden Score von Mark Mancina, der uns immerzu daran erinnern will, dass die Kacke am Dampfen ist. Mancina ist wahrlich kein Herr der feinen oder hintergründigen Töne und sollte in den darauf folgenden Jahren noch die Musik zu Filmen wie BAD BOYS, MONEY TRAIN, CON AIR und de Bonts TWISTER machen. Wenn ein Bus durch die Straßen von Los Angeles rast und irgendwie am Verkehrsstau, am Müll- oder Kinderwagen vorbeirauschen muss, weil Bremsen keine Option darstellt, dann wollen die Ohren von genau diesem markigen Sound mitgenommen werden. Effizienz vor Schönheit. Den Machern ist ein über die gesamte Strecke unterhaltsamer Quatsch gelungen, der mit seiner Laufzeit nichts Besseres anzufangen weiß, als Keanu Reeves durch die Bilder zu hetzen. Hier unterscheidet sich SPEED von vielen weniger guten Werken: Er hetzt Figuren, nicht die Zuschauer.


THE TRUMAN SHOW
Peter Weir, 1998

Truman Burbank ist seit seiner Geburt der Star einer Fernsehserie, die 24 Stunden am Tag live übertragen wird. Von seiner Existenz als Medienstar weiß er jedoch nichts, weil seine extra für die Show eingerichtete Heimatstadt von Schauspielern bevölkert und selbst das Wetter in dieser simuliert wird. Doch eines Tages beginnt er, misstrauisch zu werden.

In der Postmoderne reflektieren sich die Medien auch untereinander. Hier ist es das Kino, welches aus dem Fernsehgeschäft satirische Spitzen herauszupressen versucht. THE TRUMAN SHOW entblößt darüber hinaus universelle Wahrheiten über die Macht der medialen Bilder, würde heute durch den Zuzug des Internets aber natürlich nicht mehr auf die gleiche Weise stattfinden können. Das Fernsehen ruht noch lange nicht im Grab, hat jedoch seine magnetische Kraft verloren. Sich ins Unendliche ziehende Soap Operas und Reality-TV-Unsinn haben schon 1998 unter den Bildungsbürgern kaum stattgefunden, heute tun sie das im Zeitalter von Netflix und Amazon Prime erst recht nicht. Eine Sendung wie Big Brother wurde zugegebenermaßen in Teilen durch Weirs Film vorweggenommen, wobei ich mich hierbei schon frage, ob nicht das realistische Format aufgrund seiner Wirklichkeit der rein fiktionalen Truman Show seine Schrecklichkeit geraubt hat. Glücklicherweise arbeitet sich THE TRUMAN SHOW jedoch nicht nur an den Mechanismen der TV-Unterhaltung ab, sondern bietet über die Dringlichkeit seiner Kritik am linearen Fernsehen und dessen Rezeption ein reiches Repertoire an anderen Schwerpunkten. Es geht um Fragen nach der (medialen) Bildung von Realität, der Existenz im Medium und natürlich auch um die Suche nach dem richtigen Leben. Kernige Themen, die der Hollywood-Mainstream leider nicht oft bedient. Aus diesem Grund ist es besonders schade, dass der Film sich moralisch edel kleidet. Nicht nur werden dabei die Verwandtschaft des Kinos zum Fernsehen und damit auch die gegenseitigen Befruchtungsanstrengungen verwischt, dieser Umstand führt auch zu einer Simplifizierung von Konsequenzen und Schlüssen. Wenn Truman am Ende Winkewinke macht und sich aus der artifiziellen Postkartenwelt verabschiedet, dann steht sein Abtreten ganz im Zeichen eines bloß nicht aneckenden Drehbuchs. Interessanter wäre es gewesen, wenn sich Jim Carreys Figur für die Künstlichkeit, Scheinidentität und eine simulierte Realität entschieden hätte. Sicherheit vs. Risiko. Mittelpunkt vs. in der Masse verschwinden. Großartigkeit qua Dasein vs. Durchschnitt qua Anstrengung. Truman wählt mit seiner Flucht immer die ehrenhafte Variante, verspielt damit aber die Chance, mehrdimensional zu sein.  Was mir in jedem Fall sehr unwahrscheinlich und unehrlich erscheint, sind jedoch die einhellig positiven Reaktionen der Zuschauerschaft vor den Fernsehgeräten. Wo ist da die Traurigkeit darüber, dass es nie wieder einen neuen Tag mit dem Showstar geben wird? Wo sind die wütenden Menschen, die den Machern an den Hals wollen, weil die ihre Lieblingsfigur haben gehen lassen? Wo verdammt noch mal ist Annie Wilkes? Der Film formt stattdessen aus Trumans Weggang die gähnende Pointe, dass das Publikum nun schauen muss, was da sonst noch in der Glotze läuft. Immerhin scheint der Hollywoodfilm seiner sensationellen Perspektive hier dann doch irgendwie bewusst zu sein. Denn nachdem Carreys Figur die Ausgangstür durchschreitet, werden wir von ihr nichts mehr sehen. Ihre Durchschnittlichkeit interessiert das Filmbild nicht mehr. Truman verschwindet, löst sich auf, ist für uns mindestens unsichtbar. Das sind überraschend subtile Schlussfolgerungen, die man in diesem erwartbaren oberflächlichen Happy End eigentlich gar nicht mehr erwartet. Trotz vieler medienphilosophischen Vereinfachungen und inhaltlichen Unzulänglichkeiten ist THE TRUMAN SHOW jedoch aufgrund seiner inszenatorischen Vorzüge unheimlich gut schaubar. Peter Weir und sein Team zeigen Truman nicht selten durch verschiedene Kameras, die überall in der kleinen Stadt angebracht sind, und unterstreichen seine Existenz als Beobachtungsexemplar. Einmal wird er gar aus dem Seitenspiegel eines Autos observiert. Dazu scheint seine gesamte Welt wie ein riesiges Werbeplakat aus den Fünfzigerjahren zu sein. Alles ist geleckt, gepflegt, jeder Gartenzaun in perfektes Weiß getaucht. Wenn unser Protagonist durch die Stadt geht, schwebt die Kamera leicht über ihm und simuliert eine Überwachungsästhetik, als wolle auch das Kino ihn am liebsten auf Schritt und Tritt beschatten. Ich weiß nicht genau, wie kreativ diese Gestaltungsbemühungen sind. Aber ich muss zugeben, dass sie neben der Sinnigkeit auch eine verführerische Note mitbringen. Ursprünglich sollten andere die Regie übernehmen, allen voran Brian De Palma. Doch auch Tim Burton, Terry Gilliam oder Steven Spielberg waren im Gespräch, bevor Weir das Ruder übernahm und Andrew Niccol (GATTACA) dazu brachte, das Skript noch einmal durchzugehen, um es etwas heiterer und weniger deprimierend zu machen. Weir wollte insbesondere, dass der Kinozuschauer auch die Welt des TV-Zuschauers glaubt und dessen Begeisterung für eine Show nachvollziehen kann, die rund um die Uhr übertragen wird und nichts weiter als den Alltag eines Spießers zeigt. Obschon Robin Williams für die Hauptrolle geplant war, entschied sich Weir für Jim Carrey, der mithilfe einer medienkritischen Satire natürlich einen Weg sah, seinem Komödienimage ein paar Ecken und Kanten hinzuzufügen. So gern man Robin Williams gesehen hätte, Carreys Performance eines Mannes, der sich nach Freiheit sehnt und der Medialisierung seines Lebens den Kampf ansagt, ist einfach entzückend.

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