Hätte nicht gedacht, dass ich innerhalb eines Monats auf drei Marathons komme. Doch irgendwie hab ich diese Form des Filmeschauens lieb gewonnen. Mit dem richtigen Material fühlt es sich nicht mal anstrengend an. Wer war noch einmal dieser Erschöpfung? Der dritte Lauf begann am 14. März gegen 23.00 Uhr und endete am 15. März 2019 kurz vor 22.00 Uhr. Es war ein ansonsten komplett ereignisloser Tag, weshalb meine Kommentierung sich exklusiv von meinen Eindrücken der einzelnen Filme speist.
Die Auswahl der Filme setzte sich aus zwei unterschiedlichen Blöcken zusammen. Im ersten Block wurden Werke aus den letzten Jahren geschaut, der zweite Block beinhaltete dann ältere Stoffe. Ein spannendes Programm voller Kontraste, Heimlichkeiten und Wunder. Und ich habe sie alle gemocht: vom französischen Kriminalfilm aus den Dreißigern bis zum packenden Winterlandschaftsthriller, der in einem Indianerreservat spielt.
1. WIND RIVER
R: Taylor Sheridan, 2017
2. PAPILLON
R: Michael Noer, 20173. MON ROI (Mein Ein, mein Alles)
R: Maïwenn, 2015
4. AN (Kirschblüten und rote Bohnen)
R: Naomi Kawase, 2015
5. NIGHT OF THE LIVING DEAD (Die Rückkehr der Untoten)
R: Tom Savini, 1990
6. LA NUIT DU CARREFOUR (Die Nacht an der Kreuzung)
R: Jean Renoir, 1932
7. CAT'S EYE (Katzenauge)
R: Lewis Teague, 1985
8. THE WOMAN IN THE WINDOW (Gefährliche Begegnung)
R: Fritz Lang, 1944
Los ging es um ca. 23 Uhr.
WIND
RIVER - Eigentlich soll der Fährtenleser und Jäger Cory einen Puma
ausfindig machen, der das Vieh eines Indianerreservats in Wyoming (der
Bundesstatt mit den wenigsten Einwohnern) bedroht. Doch dann stößt er im
Schnee auf die Leiche der aus dem Reservat stammenden, gerade mal
volljährigen Natalie, was das FBI aufhorchen lässt, die die sehr junge
und unerfahrene Agentin Banner schickt, um dem Vorfall Erkenntnisse
abzugewinnen. Dass sie keine Ahnung von der Gegend hat und sich als
weiße Frau aufspielt, wird klar, als sie dem indigenen Vater, dessen
Tochter gefunden wurde, harsche Vorwürfe macht. Diese derbe
Ahnungslosigkeit und pseudocoole Ignoranz wird mit dem einfühlenden,
gelassen handelnden und der Umwelt zugewandten Protagonisten Cory
kontrastiert, der die Frau durch den Kriminalplot führt, dessen
Auflösung nicht komplett überraschend ist, aber hundsgemein erzählt
wird. Das vom Drehbuchautor von HELL OR HIGH WATER und SICARIO
realisierte Thriller-Drama ist halb Schneewestern, halb Sozialstudie,
das sich bis zur Offenbarung der Gräueltaten und ihrer Hintergründe sehr
viel Zeit lässt. Taylor Sheridan zeigt mit den Möglichkeiten des
Genrefilms außerdem auf realistische Weise die gefährliche Vermischung
von Armut, Frust, Perspektivlosigkeit, Kriminalität und Drogensucht,
welche eine Kultur für ausufernde Gewalt schaffen kann.
PAPILLON
- Als Nicht-Fan des Originals ließ ich mich auf das Remake ein, seine
Gesetzmäßigkeiten eines Knastausbruchsfilms, seine Beleuchtung
männlicher Sozialstrukturen und sein inhaltlich
ungleichmäßig-widersprüchliches Lied auf Freundschaft, Freiheit und
inneren Frieden. Der dänische Filmemacher Michael Noer inszeniert
durchaus mit Verve, muss jedoch auf ein mäßiges Drehbuch zurückgreifen,
dessen Versuche, Protagonisten und Umfeld zu authentisieren, durch die
ein oder andere schlechte Entscheidung im Schnittraum sogar noch
konterkariert wird. Die Bilder mögen geleckt sein, doch Charlie Hunnam
und Rami Malek können sie mit genug Leben und Leidenschaften füllen,
dass die 130 Minuten zu keiner Zeit zu einer Qual verkommen. Schade ist
es eigentlich nur, dass dem Aspekt der Freundschaft eine bloß
rudimentäre Unterfütterung zukommt, die nur verklärend, aber nie
erklärend sein kann.
MON ROI - Ehekrieg nach dem Kind. Ausziehen und Fremdgehen. Vincent Cassel spielt einen gut gekleideten Charmeur, dem die Figur von Emmanuelle Bercot zunächst Champagner ins Gesicht kippt, weil er sie nicht erkennt. Die beiden daten, verlieben und lieben sich. Doch nachdem die Frau das Kind kriegt, verändert sich die harmonische Beziehung auf erbarmungslose Weise. Maïwenns Film ist kompositorisch lange nicht so verzwickt wie ihr POLISSE, denn er gefällt sich vielmehr in seiner Einfältigkeit. Dadurch schafft er jedoch eine bessere Position für den Zuschauer, zu den Emotionen der Figuren vorzudringen, weil die Konzentration nicht auf die Artikulationsfähigkeit der Bildebene gelegt wird, sondern auf die Mimik und Psyche der Protagonisten.
Gegen 9.30 Uhr machte ich mir einen kleinen Snack und ließ meine Augen für eine Stunde verschnaufen.
NIGHT
OF THE LIVING DEAD - Dass dem Zombie-Urfilm ein Remake gut gestanden
hat, sieht man schon an der Figur Barbara, die in der Neuauflage eine
Autonomie präsentiert und einfordert, die man der Barbara von 1968
niemals zugetraut hätte. Aber auch sonst war der für das Skript
verantwortliche George A. Romero kein Sturkopf, sondern wechselte auch
andere Schrauben aus, übrigens sicherlich nicht nur aus einem
Remakerechtfertigungsdruck heraus. Den stürmischen Geist des Originals
hat die Regiearbeit von Tom Savini bei weitem nicht, kann es gar nicht
haben, was erklärt, warum die allgemeine Genregeschichtsschreibung
selten das Licht auf ihn richtet. Dennoch: Wer oft nach einem guten
Horrorremake gefragt wird und keine Antwort abseits der ohnehin schon oft genannten Neuschöpfungen findet, darf das nächste Mal
ohne zu zögern ruhig auf DIE RÜCKKEHR DER UNTOTEN hinweisen. Begründungen: Barbara,
Make-up-Effekte und das Lexikon des internationalen Films. Dieser hielt
nämlich die "Aussage von der Bestie im Menschen" für bedenkenswert.
LA
NUIT DU CARREFOUR - Die erste Verfilmung der von Georges Simenon
erschaffenen Figur des Kommisar Maigret stammt von Jean Renoir und wurde
von Godard mal als der einzige große französische Abenteuer- respektive
Kriminalfilm bezeichnet. Ob man ihn so herausstellen muss, sei mal
dahingestellt. Dennoch ist Renoir zweifelsfrei ein famoser Film
gelungen, der von seinem Inszenierungswillen getragen wird. Durch die
immer menschenfreundliche und neugierige Haltung des Pfeifen rauchenden
Kommissars in einem bürgerlichen Umfeld, welches vor Mord und Vergiftung
nicht haltmacht, hat er darüber hinaus auch einen Protagonisten parat,
den er hätte selbst schreiben können, wenn Simenon es nicht schon getan
hätte. Schüsse in der Nacht, Narben an der Brust, falsche Identitäten -
Abgründe des kleinen Bürgertums. Eines Bürgertums, das nicht
professionell vorgeht, sondern nur versucht, seine Haut zu retten.
CAT'S
EYE - Eigentlich wollte ich CAT'S EYE hauptsächlich dazu nutzen, um ein
wenig den Couchtisch mit den vielen leeren Flaschen und Dosen, die sich
im Laufe der letzten Stunden angesammelt hatten, aufzuräumen. Denn ich
habe weder mit einem Film gerechnet, der mich umhauen könnte, noch mit
etwas Kompliziertem, dass meine ganze Aufmerksamkeit bräuchte. Aber
Pustekuchen! Mit dem Unkompliziertsein hatte ich recht, aber die
Qualität des Streifens habe ich ganz falsch eingeschätzt. So wurde dann
aus einem Film für zwischendurch ein Ereignis, dem man sich nicht
entziehen konnte, nicht entziehen wollte. Lewis Teague führte Regie,
bekannt durch seine inszenatorischen Leistungen in ALLIGATOR und CUJO,
nach einem Skript, welches Stephen King selbst verfasste. Der
Episodenfilm besteht aus drei Segmenten, wobei die ersten beiden für den
Film leicht abgewandelt wurden und bereits als Kurzgeschichten von King
zu lesen waren. Das dritte Segment wurde eigens für den Film
geschrieben und überzeugt nicht nur mit einer sehr jungen Drew Barrymore
als kleines Mädchen, welche nachts von einem Trollwesen heimgesucht
wird, sondern auch durch die mechanischen Effektspielereien hinsichtlich
dieser absurden Trollfigur. Zusammengehalten werden die für sich
stehenden Geschichten durch eine durch die Gegend streunende Katze, die
zufällig in die ersten beiden Segmente gerät, dort natürlich keine große
Rolle spielt, aber trotzdem den Verlauf der Handlung beeinflusst. Die
erste Kurzgeschichte QUITTERS INC. über eine mehr als dubiose Firma, die
ihren Kunden mit fragwürdigen Mitteln das Rauchen abgewöhnt, kenne ich
sogar in literarischer Form. Der mit James Woods in der Hauptrolle
besetzte Auftakt glänzt dabei auch mit einer für den Film abgewandelten
Pointe, die die Visualität des Projekts herausstellt. Das Segment DER
MAUERVORSPRUNG war für mich dann ein Nägelbeißer erster Güte, schlachtet
dieser doch Akrophobie, also Höhenangst, bis zum letzten Tropfen aus.
Hier kommt vor allem die exzellente Mitarbeit von Kameralegende Jack
Cardiff durch, für den CAT'S EYE eines seiner letzten Projekte
darstellte.
THE
WOMAN IN THE WINDOW - Joan Bennett überzeugt als unschuldig wirkende
Verführerin, Dan Duryea als eiskalter Erpresser und Edward G. Robinson
als bieder wirkender, einstmals unbescholtener Bürger, welcher einen
Mord aus Notwehr begeht und, um nicht dafür mit einer möglichen
Haftstrafe zu bezahlen, die Leiche verschwinden lässt. Leider (oder
glücklicherweise) ist die von Robinson gespielte Figur so ziemlich der
schlechteste Totenbeseitiger, den man sich vorstellen kann, was für
zahlreiche Verkomplizierungen sorgt. Das Drehbuch und die meisterhafte
Regie Langs treiben wahrlich Schabernack mit dem armen Hauptcharakter, der
bis zum augenzwinkernden Schluss auf Trab gehalten wird. Alle drei
genannten Darsteller waren ein Jahr später in ähnlichen Rollen auch in
SCARLET STREET zu bewundern, dem möglicherweise sogar besseren Film.
Ehrenpreis für die größte Überraschung:
CAT'S EYE
Bester Film:
THE WOMAN IN THE WINDOW
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