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Literatur: Schinel

SCHINEL
Nikolai Gogol

(Der Mantel, 1842, Russisch)

Groteske Darstellung des Wirklichen
Nicht nur, weil Dostojewskij Gogols Novelle als riesige Inspirationsquelle für Autoren des Russischen Realismus deklarierte, sollte man sich das Werk des aufregenden Autors besorgen und mit Interesse lesen, sondern weil die Erzählung nach mittlerweile 150 Jahren immer noch eine faszinierende Vitalität und Sogkraft ausstrahlt. Im Mittelpunkt steht der niedere Beamte Akakij Akakijewitsch, der in einer Ministerialabteilung arbeitet und dort Texte abschreibt. Obwohl seine Stellung nicht die beste ist und er im sozialen Leben ein absoluter Außenseiter ist, über den sich selbst die Arbeitskollegen immer mal wieder lustig machen, möchte er keine großen Sprünge machen und ist deshalb mit seinem Dasein vollends zufrieden. Als er jedoch für den Winter einen neuen Mantel benötigt, weil sein alter ziemlich abgenutzt ist, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich einen zu kaufen. Sein einziges Problem ist jedoch das Geld, welches es bei ihm ohnehin ständig nur in sehr knapper Menge gibt. Dennoch schafft er es, das Geld für die Stoffe zu beschaffen, die Schneider Petrowitsch zu einem guten und gut aussehenden Mantel verarbeitet. Nachdem ihm das Kleidungsstück jedoch eines Abends gestohlen wird, wendet er sich an einen hohen und bedeutenden Beamten, von dem er sich ernsthaft Hilfe erhofft.

Sehr wichtig für das Funktionieren als unheimliche und doch furchtbar komische Groteske stellt sich insbesondere der sogenannte Skas heraus, der durchaus charakteristisch für die realistischen Erzählungen der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts war. Dabei ist es ein stilistisches Mittel, bei dem ein Erzähler im Ton eines kommunikationsfreudigen Sprechers auftaucht und die innere und äußere Welt einer oder mehrerer handelnder Figuren beschreibt, wobei er oft ein begrenztes Wissen besitzt und nicht selten eine lockere Form hinsichtlich der Ausdrucksweise wählt, um die Distanz zwischen ihm und dem Leser zu verkürzen. In DER MANTEL ist besonders der ironische Ton des Erzählers ausschlaggebend dafür, dass die tragische Geschichte von Akakij Akakijewitsch niemals zum schwermütigen Porträt mutiert. Da die vielfach auftauchenden spaßigen Auswüchse in der Sprache das Rührende bis zu einem gewissen Grad torpedieren, ist eine Nebel produzierende Ambivalenz in der Luft, die Eindeutiges nur selten zulässt und deshalb dem Leser auf zarte und extrem subtile Weise viele Fragen stellt.

"Seit dieser Zeit schien seine ganze Existenz irgendwie erfüllter zu sein, als ob er geheiratet habe, als ob ein anderer Mensch bei ihm sei, als ob er nicht allein sei, sondern als ob eine angenehme Lebensgefährtin sich bereit erklärt habe, gemeinsam mit ihm den Lebensweg zu gehen, und diese Gefährtin war niemand anders als eben dieser Mantel mit dicker Watte und mit festem, nicht verschlissenem Futter."

Teilweise werden in DER MANTEL mit den Mitteln des Skas auch die Regeln und sprachlichen Formen epischer Texte auf die Probe gestellt, verhöhnt oder diskutiert. Eindrucksvoll und zugleich als Kritik an den Zensurentscheidungen im damaligen Russland zu verstehen, sind die ersten Sätze, in denen der Erzähler darüber philosophiert, warum er die Ministerialabteilung, in der seine Hauptfigur arbeitet, lieber nicht näher nennen möchte. An dieser Stelle zerstört Gogol gleich auch die Hoffnung auf einen wohligen Lesefluss, da der Erzähler sich erst einmal um den eigenen Kram kümmert, anstatt den Fokus auf die Geschichte zu legen und konventionell zu beginnen. Natürlich ist das genial eingesetzte Stilmittel Skas nicht die einzig herausragende Komponente. Daneben bietet das behandelte Treiben des Protagonisten eine aus sich selbst heraus entstehende und andauernde Grundspannung, die sich sowohl aus dem Charakter der Figur wie auch aus dessen Situation entfaltet. Das surreale Ende gibt der tragikomischen Story dann auch noch den letzten Schliff und bricht die Grenzen zwischen Realität und Fantasie auf.

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