
Woher hat dieser Film eigentlich die Chuzpe und den Mut, beinahe pausenlos zu erläutern und einzuführen, anstatt auf die leichter erreichbaren Knöpfe zu drücken, damit sich uns eine Mordszene nach der anderen präsentiert? Anscheinend vertrauten Regisseur Kevin Tenney und das übrige Team tatsächlich auf die Schlagkraft des Skripts und die Darbietung der Schauspieler, wodurch sie sich nicht mehr gezwungen sahen, sich den üblichen Sehgewohnheiten und Erwartungen anzubiedern. Möglicherweise machten sie mit dieser Tendenz zur Entbrutalisierung des Kampfes Gut gegen Böse (wenngleich diese zwei Pole hier so eindeutig nicht sind) einiges richtig, denn in gewisser Weise wirkt PINOCCHIO'S REVENGE reflektierter, als viele Filme, die vor reißerischen Lösungen und Ansätzen nur so überquellen. Auch übt der Blut- und Actionverzicht einen starken Einfluss auf die Geschwindigkeit und die inneren Werte der Erzählung aus, die von ihrem relativ gelassenen Ablauf an ein psychologisches Drama erinnert, welches den Aspekt der Familie in den Vordergrund rückt. Die Puppe Pinocchio stellt dabei eine Art Eindringling dar, der sich für die fragiler werdenden Strukturen einer Mutter-Tochter-Gemeinschaft wie ein Todesstoß ausnimmt. Was allerdings überrascht: die sinistere Seite des Spielzeugs weist die Geschichte einer Konstruktion auf, eines Realitätsumbaus. So lässt PINOCCHIO'S REVENGE den Sichter die angenommenen Perspektiven hinterfragen und verweist in zahlreichen Aufnahmen darauf, dass man des Pudels Kern vielleicht doch nicht dort antrifft, wo man ihn zuerst vermutet. Diese Ambiguität macht nicht immer den überzeugendsten Eindruck, schafft es aber durch ihre Provokation zur Spekulation und durch die manipulative Herangehensweise wichtige Punkte zu machen.
Schon die Vorgeschichte wird rätselhaft behandelt: Anwältin Jennifer Garrick verteidigt einen Mann, der einen Termin auf dem elektrischen Stuhl bekommt, weil dieser seinen Sohn umgebracht haben soll. Jennifer ist allerdings überzeugt von der Unschuld des Mannes und vermutet, dass er jemanden schützt. Dort, wo er sein totes Kind vergraben hat, wurde auch die Holzpuppe entdeckt, die die Anwältin nach Hause bringt und damit vielen tragischen Vorfällen den Weg ebnet. Der Film zeigt sich selbst in dieser Einführung wenig dazu bereit, viele Deckel zu öffnen und den Fragezeichen Antworten zuzuordnen. Umso unaufregender kommt einem dagegen das Finale vor, das von Sturmwetter bis zu Messer-durch-Tür-Einstellungen kein Klischee auslässt. So tanzt Tenneys Werk letztlich zwischen Ambition und Gehorsam, bezieht sich einerseits auf die Erwartungen, über die er sich hinweg bewegt, und versteht es andererseits, die Toleranz des Zuschauers nicht zu stark herauszufordern. Schön ist vor allen Dingen, dass PINOCCHIO'S REVENGE mit der Kraft des unvollständigen Wissens nicht nur in rein narrativer Hinsicht um die Ecke kommt, sondern ebenso durch die subjektive Kamera, die sich weigert, uns eine ganz bestimmte Information mitzuteilen.
PINOCCHIO'S REVENGE (Deutscher Titel: PINOCCHIO - PUPPE DES TODES)
Regisseur: Kevin Tenney
USA 1996
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