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Literatur: Nos

NOS
Nikolai Gogol

(Die Nase, 1836, Russisch)

Gogol war Beamter im untersten Rang
Wenn man es nicht besser wüsste, würde man darüber spekulieren, ob Gogol sich nicht regelmäßig einen hinter die Binde kippte, als er die Erzählung schrieb. In dieser geht es um den Beamten Kowaljow, der eines Morgens aufwacht und feststellt, dass ihm die Nase fehlt. Aufgeregt bricht er auf und sieht den fehlenden Körperteil auf der Straße - dieser steigt in feiner Uniform aus einer Kutsche aus und geht daraufhin in eine Kirche. Kowaljow läuft dem Teil hinterher, und als er seine Nase alleine auf einer Bank sitzen sieht, also vor seiner Nase hat, nutzt er die Gelegenheit aus, um mit ihr zu sprechen und sie zu einer Rückkehr an ihren Platz zu überreden. Kowaljow kommt die Situation völlig absurd vor und als er sein Riechorgan kurz unbeobachtet lässt, verschwindet es wieder spurlos. Daraufhin setzt er seinen Einfall, eine Vermisstenanzeige aufgeben zu wollen, in die Tat um und geht zu einem Zeitungsbüro. Der dort zuständige Mitarbeiter weigert sich allerdings, dem Wunsch entgegenzukommen. Völlig niedergeschlagen geht der Beamte wieder nach Hause, wo ihn etwas später ein Polizist besucht, der ihm die fehlende Nase überbringt. Angeblich sei diese mit gefälschten Dokumenten erwischt worden.

Gogol spielt in seiner kleinen Erzählung mit den Formen der Groteske und des Realismus. Psychologie und Sprache der verschiedenen Menschen sind zwar oft genug satirisch entstellt, orientieren sich aber an den damaligen realen Lebensumständen, in denen der Rang nicht selten mehr zählte, als der Mensch und sein Charakter. Hochmut und Unterwürfigkeit konnten nicht weit voneinander entfernt liegen, denn in welchem Ton man mit jemandem sprechen durfte, ohne es sich mit der Person zu verscherzen, richtete sich sowohl nach der eigenen Stellung wie auch der des anderen Kommunikationsteilnehmers. Der Beamte Kowaljow ist ein karrieregeiler Typ, zwar stolz darauf, was er erreicht hat, aber noch lange nicht am Ziel seiner Träume. Er ist Kollegienassessor und gehört damit zum achten Rang im zivilen Dienst, was ihn aber nicht davon abhält, sich Major zu nennen, um zu mehr Ansehen zu kommen. Der Verlust seiner Nase nimmt ihm ein Stück seines Selbstbewusstseins und verunsichert ihn schwer. Als er seine Nase in der Kirche anspricht, wirkt er eingeschüchtert und um nicht vorstellbare Längen geschrumpft. Platt gemacht, wie die Stelle, an der mal seine Nase war.

"Hätte ich einen Arm oder ein Bein verloren, das alles wäre noch nicht so schlimm; aber ein Mensch ohne Nase – der Teufel weiß, was das ist: Nicht Fisch und nicht Fleisch – man kann ihn einfach nehmen und zum Fenster hinauswerfen."

Die Nase, die durch die Straßen St. Petersburgs kutschiert wird, trägt die Uniform eines Staatsrates, befindet sich damit also drei Ränge höher als ihr Besitzer Kowaljow. Dieser bittet sein Körperteil unterwürfig um die Herstellung der alten Ordnung, denn schließlich, so meint er, solle sie ihren Platz doch kennen. Man bekommt fast Mitleid mit diesem Nach-oben-Gucker, der in erster Linie für seine Karriere zu leben scheint. Der gewaltige Surrealismus in der Geschichte beeindruckt ebenso wie die Sichtbarkeit der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, die miteinander auskommen müssen. Literaturwissenschaftler haben bereits viele Erklärungsversuche zu den Vorgängen zur Verfügung gestellt und die verrückte Handlung bietet sich auch sehr gut für unterschiedliche Deutungen an. Ich führe die Geschehnisse auf die Psychosexualität zurück. Wie ich im zweiten Absatz geschrieben habe, ist Kowaljow ein karrieregeiler Bock, der sein Beamtendasein liebt. Der Zivildienst ersetzt für ihn eine Frau (er ist ledig und möchte sich nur mit einer verheiraten, wenn er dafür auch ordentlich Asche bekommt), die er jedoch glaubt nicht mehr befriedigen zu können, weil ihm seine Nase abhandengekommen ist. Seine "Frau" sichert ihm aber ein ordentliches Ansehen und so wird er durch den (imaginären?) Verlust seines besten Stücks in einen Alptraum hineingezogen. Und wir aus dem deutschen Sprachraum kennen ohnehin alle den Spruch: Wie die Nase des Mannes, so auch sein Johannes. DIE NASE wäre nach dieser Erklärung also ein Stück über die Furcht vor dem Machtverlust bzw. dem Verlust der Männlichkeit.

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2 Kommentare

  1. Hm, nach deiner Interpretation dürfte es eigentlich keine Frauen mit langen Nasen (oder überhaupt mit Nasen) geben, und unter dem weiblichen Geschlecht würde der Nasenneid grassieren ... :-Þ

    Kennst Du die Verfilmung von Alexeieff & Parker?

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  2. Ja, eben. Wenn du Frauen mit Nasen siehst, dann weißt du ja was los ist. :-Þ

    Ne, die Verfilmung hatte ich noch gar nicht gekannt, habe sie aber heute morgen noch nachgeholt. Toll gemachter Kurzfilm! So will man das haben.

    Übrigens: Yuri Norstein (der Macher von DER IGEL IM NEBEL) soll seit 1981 an einer Verfilmung von DER MANTEL arbeiten. Siehe: http://en.wikipedia.org/wiki/The_Overcoat_%28animated_film%29

    "On March 13, 2007, Norshteyn stated that he planned to release the first 30 minutes of the film with a soundtrack into theatres by the end of 2007. However, as of October 2013, the film remains unfinished, its production time of over thirty years is the longest for a motion picture in history."

    :D

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