Italien, 1988
Genre: Thriller, Horror
Regisseur: Gianfranco Giagni
Darsteller: Roland Wybenga, Paola Rinaldi
Professor Alan Whitmore, der an einem Projekt mitarbeitet, bei dem alte Schrifttafeln aus vorchristlicher Zeit untersucht werden, bekommt den Auftrag, nach Budapest zu reisen. Dort soll er einen Arbeitskollegen aufsuchen, der an den Übersetzungen der Tafeln arbeitet, die auf eine sehr alte Religion hinweisen. Beim Gespräch in Budapest übergibt ihm der geplagt ausschauende Kollege einige Unterlagen. Als Alan am nächsten Tag zu einem erneuten Treffen erscheint, findet er den Übersetzer an einem Strick aufgehängt vor.
B-Movie-Stolz, der einen aus den Pantoffeln schleudert
Kommentar: Wenn ein Film trotz seiner Erfüllung von normierten Publikumsanforderungen es doch nicht auf das Radar des durchschnittlichen Vollblut-Cineasten schafft, dann kann das beim unterrichteten und eingeweihten Filmzuschauer manchmal Frustrationen auslösen. Wer sich mal den wenig beachteten SPIDER LABYRINTH zu Gemüte führt, und dabei wenigstens eine kleine Portion Liebe für italienische Genrekunst besitzt, wird mit Fug und Recht behaupten können, dass die Unbekanntheit des Streifens ein ziemliches Unding ist. Bei aller Richtigkeit dieser Einschätzung lässt sich jedoch genauso feststellen, dass der Film auffällig auf den künstlerischen Früchten anderer aufbaut und dem Releasezeitpunkt nach dafür leider etwas zu spät kommt, zumal sich das Kino im Stil von Bava und Argento Ende der Achtziger schon deutlich im Abwärtstrend befand. So ist es zumindest nicht unverständlich, warum es veröffentlichungstechnisch noch viel zu tun gibt und der Film von allen Seiten insgesamt ziemlich stiefmütterlich behandelt wird. Schmerzvoll ist es trotzdem natürlich besonders dann, wenn man feststellen muss, dass selbst Fans SPIDER LABYRINTH übergehen, einfach nicht auf dem Schirm haben oder keine Möglichkeit finden, ihn sich anzusehen.
IL NIDO DEL RANGO fängt mit einem Traum oder einer Erinnerung an, die von einem Jungen handelt, der bei einem Versteckspiel zum Spaß eines anderen Buben in einem Schrank eingeschlossen wird und dort auf eine fette Spinne stößt, die über seinem Kopf an einem Netz hängt, was dem Dreikäsehoch natürlich einen großen Schrecken einjagt. Danach sehen wir einen Mann und seine Fahrt im roten Cabriolet. Er ist Professor und trifft sich in einem spartanischen, für Meetings eingerichteten Zimmer mit drei Männern, die ihn zwecks eines geheimen Projekts nach Budapest schicken. Sie klären ihn darüber auf, dass ein Übersetzer alter Schrifttafeln, die aus vorchristlicher Zeit stammen und auf eine uralte Religion hinweisen, seit längerer Zeit den Kontakt mit seinen Arbeitgebern abgebrochen hat und nichts mehr von sich hören lässt. In Budapest bekommt er eine attraktive Kollegin an seine Seite, die ihn nach der Ankunft vor das Haus des verschwundenen Übersetzers fährt. Dort bekommt er einige Unterlagen mit wichtigen Informationen und macht mit dem paranoid auftretenden Übersetzer aus, dass er am nächsten Tag wiederkommt. Bevor er ihn noch einmal besucht und aufgehängt auffindet, warnt ihn ein hysterischer Mann davor, sich weiter in der Stadt aufzuhalten, da er in großer Gefahr sei. Selbstverständlich schenkt er den Worten des seltsamen Alten keine relevante Aufmerksamkeit und hält ihn für einen Spinner, der ihn bloß in Ruhe lassen soll.
Der Thriller von Giagni schließt an die Filme der Sechziger und Siebziger an und feiert unstillbar die Schauerwerte des Okkulten. Er windet sich zwar mit seinem Protagonisten durch alle Abteilungen eines Aufdeckungsstreifens und reproduziert dessen altbekannte Muster wieder, macht dies alles jedoch mit einer großen Zuneigung für die Bildgestaltung und einem B-Movie-Stolz, der einen vom Sofa hüpfen lässt. Auf herzerfrischende Art mobilisiert Giagni die Tugenden seiner Vorbilder und führt sie sanft in sein Reich des Schauderhaften über, allerdings ohne sie zu generalisieren und damit zu vertuschen. Er zitiert die großen und die kleinen Filme seines Landes, kopiert das schon Vorhandene und baut aus den verschiedenen Teilstücken ein vollständiges Puzzlebild zusammen, das ein bisschen wie eine Zusammenfassung der italienischen Genregarde ausschaut. Gleichwohl steckt hier nicht nur Erfahrung mit dem unheimlichen, brutalen und ästhetisch hochwertigen Kino drin. Denn genauso wie er in seiner Nacheiferei und Honorierung lebendig erscheint, ist er im Stadium der Konfliktzuspitzung unbrembsbar konsequent und in der Phase des Ausklangs betont roh wie auch pessimistisch, sodass trotz vieler Parallelen mit anderen Werken niemals das negative Gefühl entsteht, dass man es hier mit einem unoriginellen Fließbandprodukt zu tun hat. Gerade weil der Held des Films durch den Verlust seiner Persönlichkeit und Individualität zerstört wird, nur der Körper als erinnerndes Merkmal übrig bleibt, während ein typischer Vertreter damit endet, dass alles wieder ins Lot kommt, lenkt ein größerer und markanterer Nachdruck unsere Aufmerksamkeit darauf, dass Giagni die über viele Minuten mühsam aufgebaute und im letzten Akt zum Riesen gewordene Creepiness nicht vollkommen am Hintern vorbeigeht und deshalb auseinandergebrochen werden sollte. Er hätte es sich schließlich einfach machen und alles zum Guten führen können.
Der marktschreierische deutsche Nebentitel "In den Fängen der Todestarantel" ist aufgrund des verarbeiteten Inhalts leider ziemlich blöder Käse und suggeriert einen Tierhorrorfilm, was SPIDER LABYRINTH aber nicht ist und nicht sein will. Der Film führt in eine dunkle und geheimnisumwitterte Ecke in Europa, wo ein Professor auf die Spur eines religiös-okkulten Verschwörungssystems kommt. Während der Streifen am Anfang noch Erinnerungen an THE HOUSE WITH LAUGHING WINDOWS von Pupi Avati weckt, deckt sich das Geschehen später beispielsweise ganz gut mit den Vorgängen in SUSPIRIA. Taranteln tauchen hier zwar schon auf, aber als Zeichen und Emblem der bösen Vereinigung. Die dargestellten Spinnentiere wurden übrigens mit einem Stop-Motion-Verfahren ins Bild gebracht und strahlen sehr viel Charme aus, obgleich sie auf der Schönheitsskala irgendwo unten rangieren dürften. Das Budget war aber mit Sicherheit ziemlich niedrig, weshalb die actionhaften Sequenzen und Tötungsszenen wenig überzeugend daherkommen und mit den Eleganz beschwörenden Morden bekannter Giallo-Vertreter wenig Gemeinsamkeiten aufweisen. Jedoch werden die Tötungen auch in IL NIDO DEL RANGO nach einem mehr als genug erprobten Schema legitimiert: Alle Person, die Wissen über ein Geheimnis besitzen und dieses weitergeben wollen, werden abgemurkst. Der ruhige Hauptcharakter hat es deshalb schwer, gegen die religiöse Sektenclique anzukommen, die ihren Ring vor Schnüfflern und Geheimnisaufdeckern schützen will. Man muss dem Drehbuch allerdings verzeihen, dass der Protagonist ein ziemlich komischer Naivling ist und für seine Recherche nach einer Verschwörungsgemeinde ziemlich einfältig agiert, ja geradezu blass wirkt gegen die sinistren Kräfte seiner Gegnerschaft.
Hinsichtlich der Gestaltung fallen an vielen Stellen aufregende Farbkombinationen auf, die SPIDER LABYRINTH mit seinen Vorbildern einen, wobei er in düsteren Räumlichkeiten nicht weniger gut ausschaut. Dezente Lichtsetzungen und knapp beleuchtete Ecken sind natürlich ebenfalls üppig vorhanden und verleihen dem gespenstischen Klima eine leicht artifizielle Anziehung. Das Motiv des Labyrinths wird mehrmals in der Erzählung verarbeitet, so natürlich als undurchdringliches Netz, aus dem man nicht mehr herauskommt. Aber auch bei der Jagdsequenz im Hotel, wo eine Angestellte sich durch aufgehängte Bettlaken durchkämpfen muss, damit sie nicht abgeschlachtet wird, oder die fabelhafte Stelle, als der Protagonist einen Ort mit einem Auto erreichen möchte, sich dabei jedoch immer wieder verfährt und am Ende der Strecke stets am selben Punkt ankommt. Angesichts der durchdachten narrativen und gestalterischen Schöpfungen ist es schon bitter zu wissen, dass Gianfranco Giagni nur ein Werk in dieser Richtung abgedreht hat, denn ansonsten hat er bisher nur Dokumentarfilme, Serien und im Jahr 2000 noch ein Drama mit Ben Gazzara (DIE ERMORDUNG EINES CHINESISCHEN BUCHMACHERS, ANATOMIE EINES MORDES) gemacht.
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