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Literatur: Materinskoe pole

MATERINSKOE POLE
Tschingis Aitmatow

(Goldspur der Garben, 1964, Russisch)

Wurde 1968 verfilmt
Die Kolchosbäuerin Tolgonai erinnert sich noch einmal an ihr ganzes Leben. Dabei lässt sie uns die Faszination der Kolchosbauern schmecken, die in ihrer Kommune wahrscheinlich zum ersten Mal einen Traktor erleben. Sie erzählt von ihren drei Söhnen und ihrem Mann, die nach und nach vom Militär im Krieg gebraucht und deshalb eingezogen wurden. Von der Goldspur der Garben am Himmel. Von guten und schlechten Erntetagen. Aber auch von ihrer Schwiegertochter, zu der sie ein besonderes Verhältnis aufbaut, nachdem deren Mann aus den Wirren des Krieges nicht mehr auftaucht. Nachdem niemand von Tolgonais Männern mehr auftaucht. Sie reflektiert menschlichen Verlust und die kleinen Freuden eines bescheidenen, vielleicht sogar unbezwingbaren Lebens.

Ein in seiner präzis-poetischen Melancholie treibender Roman, der innerhalb seiner literarisch gemeißelten Realität Elemente der fiktiven Biografie und sowjetisch-ländlicher Wirklichkeitsbeschreibung zulässt. GOLDSPUR DER GARBEN schildert auf nicht zu vielen Seiten das einfache, aber vom Schicksal gebeutelte Leben einer Bäuerin und zeigt keinen Geiz, wenn es darum geht, Zeit- und Lokalkolorit selbstbewusst auftreten zu lassen. Wir Kinder der sogenannten Ersten Welt werden deshalb kaum gesellschaftliche Schlüsse aus dem Buch ziehen können, bekommen wir doch eine Lebensrealität gespiegelt, die für uns ihre Sinnhaftigkeit aus dem historischen und dem geografischen Kontext zieht. Da das Buch zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt, in irgendeiner kleinen kirgisischen Bauerngemeinde, die nicht das Geringste mit diesem Krieg zu tun hat, kommt uns die offenkundige Absurdität des vaterländischen Sprechs auf dem Land seltsam vor, ebenso die Inklusion der Söhne, welche allerdings keine Wut über die Ungerechtigkeit auslöst. Krieg wird zwar als furchtbar gesehen und als Zerstörung von Existenzen gedeutet, doch die Teilnahme daran wird nie infrage gestellt. Darüber hinaus werden Deserteure eindeutig der Beschämung ausgesetzt.

"Nein, Krieg, und wenn du die Menschen vierzig Jahre mit Stiefeln trittst und tötest, raubst, sengst und vernichtest, du zwingst den Menschen nicht in die Knie, du entwürdigst ihn nicht."

GOLDSPUR DER GARBEN wurde deshalb unmissverständlich vor dem Hintergrund der existierenden Sowjetunion geschrieben und man kann Tschingis Aitmatow vorwerfen, bestimmte Haltungen nicht kritischer unter die Lupe genommen zu haben. In der Tat gestaltete sich die literarische Arbeit von Aitmatow zu dieser Zeit wenig provokant gegenüber dem herrschenden sozialistischen Gleichschritt. Doch dies ist Lamentieren auf sehr hohem Niveau. Schließlich liegt der Schwerpunkt des Romans auf den Klagen einer kirgisischen Mutter, welche in der Ich-Form nacherzählt werden und die eine höchst interessante Perspektive einer selbstbestimmten und willensstarken Frau wiedergeben. Bei ihr vermischt sich das einfache Gemüt und die Milde eines typischen sowjetischen Mütterchens mit der Souveränität einer Anführerin. Mit wohltuender sprachlicher Klarheit und stimmungsvollen Beschreibungen durchdringt Aitmatow dabei ihre Psyche und schafft einen kleinen Kosmos, dem wir mit ehrlicher Verwunderung, trockener Begeisterung und bisweilen auch gedämpfter Wut beiwohnen.

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